[Rezension] Christine Brand: Blind

Montag, 22. April 2019 | Kommentieren
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Buchcover © Blanvalet
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448 Seiten | 2019 | Blanvalet | Deutsch

Originalausgabe

Reihe: Milla Nova #1

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Rezensionsexemplar

Alles begann mit einer App ...

Eine App, die anonym blinde Menschen mit sehenden verbindet, um sie im Alltag zu unterstützen. Ein blinder Protagonist, der überzeugt ist, über eben jene App ein Verbrechen mitangehört zu haben. Niemand, der ihm glauben will, denn Spuren, dass es überhaupt ein Verbrechen gab, gibt es keine.

Angenehmer Auftakt

Kurze Kapitel und ein kurzweiliger Schreibstil führten schnell dazu, dass ich in die Geschichte hineinfand. Sie ist durchweg im Präsens geschrieben, was anfangs etwas gewöhnungsbedürftig war, der Geschichte im Verlauf aber eine interessante Gegenwärtigkeit verlieh.
Die Handlung startet noch ganz entspannt mit Alltagsszenen, doch schon nach kurzer Zeit kommt es zu dem (angeblichen?) Verbrechen und die Geschichte nimmt langsam Fahrt auf. So zumindest meine Annahme. Leider war ich stattdessen zusehends genervt.

Oberflächlich und wenig abwechslungsreich

Die Geschichte wird von einem allwissenden Erzähler erzählt, der sich des Öfteren als personaler Erzähler tarnt. Doch statt wirklich in die einzelnen Perspektiven einzutauchen, springt er sehr oft zwischen den Figuren. Teilweise von Kapitel zu Kapitel, teilweise innerhalb der Kapitel. Dadurch gelang es mir kaum, die Charaktere besser kennenzulernen. Sie blieben alle sehr oberflächlich. Als hätte man sich einmal quer durchs Fernsehprogramm gezappt: Man kann zwar grob sagen, worum es geht, aber Details kennt man kaum.
Zudem konnte mich die Handlung nach dem interessanten Einstieg nur noch wenig packen. Hauptgrund dafür war der immer wiederkehrende Ablauf, der mich spätestens ab der dritten Wiederholung nervte: Nathaniel findet etwas heraus. Er wird als unglaubwürdiger Blinder abgestempelt, der sich irgendwo reingesteigert hat. Er zweifelt und ist enttäuscht. Er hat eine neue Erkenntnis – und alles wieder von vorn.
Die Erkenntnisse selbst und die Richtung, in die sich die Geschichte entwickelt, hätten mich dabei tatsächlich wieder packen können, aber der ständig gleiche Verlauf machte jedes Spannungspotenzial direkt wieder zunichte.
Ähnlich erging es mir mit den Andeutungen auf Nathaniels traumatische Vergangenheit. Anfangs waren die noch interessant und weckten in mir den Wunsch, mehr zu erfahren. Statt einem Mehr gab es aber immer wieder bloß Andeutungen, die in der zweiten Buchhälfte ebenfalls nervten und in mir nur einen Gedanken schufen: Komm zum Punkt.

Nur die Blindheit zählt

Als hätte das noch nicht gereicht, steigerte der Umgang mit Nathaniels Blindheit zusehends meine Frustration.
In beinahe regelmäßigen Abständen bringt der allwissende Erzähler Aussagen nach dem Motto "Wenn Nathaniel sehen könnte, würde er merken, dass..." Furchtbar! Ja, durch seine Blindheit kann er nicht alles wahrnehmen, aber gerade das hätte eine tolle Chance für eine tiefere Charakterisierung geboten. Stattdessen wird immer wieder nur betont, was er nicht kann, was er nicht wahrnimmt. Wenn es dann doch mal um das geht, was er gut kann, nämlich zuhören und Geräusche unterscheiden, dann ist er viel zu oft der Verrückte und der unglaubwürdige Blinde, an dem man nur zweifeln kann. Ätzend!
Ganz davon abgesehen, dass er extrem oft einfach nur „der Blinde“ ist und nicht „Nathaniel“ oder „Herr Brenner“. Selbst für die Polizei ist er ganz oft nur „der Blinde“ oder - genauso schlimm - einfach "Nathaniel". Als wäre er ein Kind. Ich glaube kaum, dass Polizist*innen den Vornamen benutzen, wenn sie sich über eine Zeugin/ einen Zeugen unterhalten.

Der potenzielle Täter (Ausklappbar. Achtung, Spoiler!) Im Laufe der Handlung wird Nathaniel irgendwann als potenzieller Täter gehandelt, was durchaus interessant hätte sein können, da zu dem Zeitpunkt noch immer nicht klar ist, was dieses Trauma aus der Vergangenheit mit ihm gemacht hat und wie es mit dem Fall zusammenhängt. Allerdings hat diese Wendung bei mir so gar nicht funktioniert.
Zum einen lag das an dem Bild des hilflosen Mannes, das zu diesem Zeitpunkt bereits an diversen Stellen gebracht wurde und sich - auch wenn ich Nathaniel nicht für hilflos hielt - so eingeschliffen hatte, dass der Umschwung von "hilflos" zu "hinterhältig" einfach nicht passte.
Zum anderen erschien Nathaniel in den Parts aus seiner Perspektive für mich zu keinem Zeitpunkt unglaubwürdig. Ich hatte noch nicht einmal Grund, an ihm zu zweifeln, geschweige denn, ihn als möglichen Täter in Betracht zu ziehen.

Ein Showdown ohne Spannung

Nach all dem hatte ich noch auf ein spannendes Finale gehofft, denn obwohl ich relativ früh eine Ahnung hatte, in welche Richtung die Auflösung geht, war ich auf die Details dieser Auflösung gespannt.
Das Finale wird dann aber in einer Form erzählt, mit der ich überhaupt nichts anfangen konnte, und in der der allwissende Erzähler mit seinen vielen Perspektivwechseln noch einmal zur Höchstleistung aufläuft: X tut dies … Währenddessen erfährt Y das … Gleichzeitig passiert an Ort Z jenes …
Diese Formulierungen in Verbindung mit den schnellen Wechseln hätten Spannung erzeugen können und sollten das wohl auch. In mir weckten sie aber (mal wieder) nur einen Gedanken: Komm zum Punkt! Es reicht.

FAZIT

„Blind“ hat eigentlich eine tolle Grundstory mit viel Potenzial. In der Umsetzung blieben mit die Charaktere allerdings zu oberflächlich, die Handlung konnte mich kaum packen und der Umgang mit Nathaniels Blindheit sorgte letztlich nur für zunehmende Frustration.

Bewertung_2 Pergamentfalter

Zusammenfassung

Positiv Neutral Negativ
  • Interessante Grundidee
  • Blinder Protagonist
  • Kurzweiliger Schreibstil
  • Durchgängig in Präsens geschrieben
  • Viele kurze Kapitel
  • Allwissender Erzähler
  • Flache Charaktere
  • Wenig Spannung
  • Wenig abwechlungsreiche Handlung
  • Reduzierung des Protagonisten auf seine Blindheit
  • wiederkehrende Verbindung von Blindheit mit Hilflosigkeit und geringer Glaubwürdigkeit


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