[Rezension] Lorenz Stassen: Angstmörder

Freitag, 22. Dezember 2017 | 6 Kommentare
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Bildquelle: Random House Bloggerportal


352 Seiten | 2017 | Heyne | Deutsch

Originalausgabe

Reihe: Nicholas Meller Bd. 1

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Auf der Suche nach Spannung

Nicholas Meller ist ein erfolgloser Anwalt, der sich mehr schlecht als recht über Wasser halten kann. Trotz (oder gerade wegen) der Ruhe in seiner winzigen Kanzlei stellt er die Studentin Nina Vonhoegen als seine Referandarin ein. Dabei sorgt Nina von Anfang an für Irritationen, denn einer ihrer Arme ist zurückgebildet.
Als ein ehemaliger Mandant, den Meller nun ein zweites Mal vertreten soll, des Mordes angeklagt wird, kommen Nina Zweifel an der Schuld des Mannes. Das ungleiche Duo begibt sich auf Spurensuche und kommt einem grausamen Mörder auf die Spur.

Genre, wir müssen reden!

"Angstmörder" ist angeblich ein Thriller, woran ich jedoch zweifle. Die genretypische Hochspannung habe ich nirgends gefunden und auch die Einblicke in die Psyche des Mörders waren nicht so tiefgreifend, wie ich sie sonst aus Thrillern kenne. Ich rede bei diesem Buch daher eher von einem Krimi. Das passt besser.

Unaufgeregte Berichterstattung

Die Handlung wird einerseits aus der Ich-Perspektive von Anwalt Nicholas Meller erzählt. Andererseits gibt es einen personalen Erzähler, der von dem Geschehen rund um den Mörder und seine Opfer berichtet.
Spannung konnte dabei nur gegen Ende ein wenig aufkommen. Abgesehen davon plätscherte die Geschichte eher dahin und ich spielte mehrfach mit dem Gedanken, das Buch abzubrechen. Das lag zum Einen daran, dass in den ersten zwei Dritteln nicht sehr viel passiert. Die Geschichte pendelt zwischen Einblicken in die Leben einzelner Figuren, ein paar Streitereien und etwas Ermittlungsarbeit - wobei die aufgrund von Mellers Beruf doch eher beschränkt ist. Trotzdem war es stellenweise wirklich überraschend, wie viel Meller als Anwalt herausfinden konnte.
Zum anderen lag es meiner Meinung nach am sachlichen, klaren Schreibstil des Autor. Er gibt der gesamten Geschichte den Charakter einer Berichterstattung denn eines Buches, das zum Eintauchen einlädt.
Insgesamt war mir diese Geschichte zu offensichtlich konstruiert. Normalerweise kann ich zwischendurch vergessen, dass eine Handlung konstruiert ist, weil sie einfach überzeugt. Hier gelang das leider nicht.

Zwischen Vorurteilen und Konstruktion

Von der Handlung zu den Charakteren: Die Hauptfiguren sind schlüssig dargestellt und haben mir weitestgehend gut gefallen. Der faule Anwalt Meller und die schlagfertige Nina bilden dabei ein interessantes Duo.
Positiv aufgefallen ist mir, dass in "Angstmörder" endlich mal eine Person mit einer Behinderung zur Hauptfigur eines Krimis ("Thrillers") wird. Kann es gern öfter geben!
Dabei war Ninas Arm des Öfteren ein Thema, angefangen beim ersten Zusammentreffen mit Meller. Dessen Reaktion fand ich zunächst einmal nicht gut, aber überzeugend.
Ich fragte mich, ob ich auf sie zugegangen wäre, [...] wenn sie keinen Mantel, sondern nur die Bluse angehabt hätte? Ich musste nicht lange überlegen. Nein. Niemals.
(Seite 30)
Im Laufe der Handlung ändert sich seine Meinung dann zwar (sehr gut!), aber ich fand es schade, dass er seine anfängliche Ablehnung nicht reflektiert. Dabei gibt es durchaus Stellen, an denen das gut gepasst hätte, bsp. wenn es um die Ansichten seiner russischen Bekannten zu Personen mit Behinderungen geht.
Ansonsten haben mir der entspannte Umgang mit Ninas Behinderung und die Darstellung der Irritationen, die sie mitunter hervorruft, gut gefallen.

SPOILER-Talk

Wer sich nicht spoilern will, sollte diesen Absatz überspringen und gleich beim Fazit weiterlesen!

Ganz ohne Spoiler geht es dieses Mal nicht, wenn ich beschreiben will, warum mich das Buch nicht wirklich überzeugen konnte. Immerhin gibt es noch drei weitere Punkte, die mir negativ in Erinnerung geblieben sind.
So tauscht sich bsp. eine der Nebenfiguren, Christine Thalbach, mehrfach und dabei z.T. sehr persönlich mit einem Polizisten aus. Ich weiß nicht, ob ich durch meine bisher gelesenen Krimis und Thriller einfach schon sensibilisiert bin, aber ich fand diesen Polizisten einfach unglaubwürdig und konnte nicht verstehen, warum Christine ihm glaubt und vertraut. Er lässt ihr einfach so eine polizeiliche Software auf dem Notebook ("Sie wird ja schon nichts verraten."), hat rein zufällig immer Zeit, wenn sie ihn braucht, und auch sonst benimmt er sich in meinen Augen nicht wie ein überzeugender Polizist. Mir kamen sofort Zweifel an ihm, Christine nicht. Stellt sich die Frage, ob ich sensibilisiert bin, sie einfach naiv ist oder das mal wieder ein Fall für die Buch-Konstruktionsabteilung ist ...
Mein zweiter Punkt ist die Liebesgeschichte zwischen Meller und Nina, zu der ich einfach nur eine Frage habe: Warum?! Diese Beziehung (bzw. Verliebtheit) war plötzlich da und dann so "intensiv", wie ich es sonst nur von übertriebenen Romanzen in Jugendbüchern kenne. Sie wirkte auf mich zu konstruiert und hinterließ am Ende den faden Nachgeschmack, nur da gewesen zu sein, um einen Aufhänger für das Finale zu haben. Ohne diese "Beziehung" hätte Meller schließlich nicht so leicht erpresst werden können ...
Zu guter Letzt die Szene nach der Schießerei am Ende: Meller kann nicht schießen und hat folglich sicher keinen Waffenschein. Trotzdem taucht er mit einer von Alexandrs Waffen zu dem Gespräch auf. Punkt eins: Das schreit nach Konstruktion! (Wieder mal.) Meller hatte nie eine Waffe, hat auch nie den Wunsch danach geäußert und nun in der Szene hat er doch rein zufällig eine dabei, wo er ohne sie aufgeschmissen gewesen wäre. Ist klar.
Punkt zwei: Nachdem er geschossen hat, springt er sofort wieder als Anwalt ein. Bin nur ich der Meinung, dass das nicht funktionieren wird? Ich meine, er hat keinen Waffenschein, bringt eine geladene Pistole mit zu einem Gespräch und erschießt jemanden. Ich bin der Meinung, dass diese Szene nur schwer als Notwehr abgehandelt werden kann und Meller daher Probleme mit dem Gesetz (und seiner Zulassung als Anwalt) bekommen wird. Sicher, das tangiert dann nicht mehr die Handlung des Buches, sondern geht darüber hinaus, aber diese Szene war für mich einfach nur unsinnig.

Spoiler Ende.

FAZIT

"Angstmörder" ist mehr ein Krimi als ein Thriller und selbst dafür beinahe zu unaufgeregt. Spannung kommt kaum auf und mehrfach schreit die Handlung einfach nur nach Konstruktion. An dieser Stelle konnte auch die gute Darstellung der Charaktere nicht mehr viel retten.

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6 Kommentare

  1. Das ruhige ist wohl auch der Grund, warum ich mir das Buch nicht holen werde. Vielleicht vage ich in der Biblio mal einen Blick ;)

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    1. Danke dir für dein Kommentar!
      Ein Blick schaden kann ja nicht; hab in anderen Rezensionen auch schon gelesen, dass die es spannend fanden. Nur einen Thriller würde ich keinesfalls erwarten ;)

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  2. Mir hat im Gegensatz zu Dir das Buch uneingeschränkt gefallen. Allerdings hätte ich es auch als astreinen Krimi bezeichnet, Thriller fand ich auch nicht das richtige Etikett.

    Deine Kritikpunkte im Spoiler-Teil kann ich nachvollziehen und verstehe, wenn Dich das zu einem durchwachsenen Gesamturteil bringt.
    Punkt 1 ist mir während des Lesens nicht negativ aufgefallen, manche Menschen sind eben unkritisch und gutgläubig. Man denke nur an den Enkel-Trick, wenn Betrüger anrufen und (ältere) Menschen ihre eigenen Enkel nicht am Telefon erkennen. Das wirkt auf mich immer mindestens so unglaubwürdig wie der von Dir angesprochene Aspekt.
    Punkt 2 hätte nicht sein müssen. Man hätte sicher auch einen anderen Dreh als diese Insta-Love finden können. Aber auch das hat mich nicht weiter gestört.
    Bei Punkt drei bin ich unentschlossen. Vielleicht bekäme er eine Geldbuße oder ähnliches wegen der Waffe, sicher wird erst einmal genau geschaut, was passiert ist und er kommt nicht so ohne Weiteres aus der Nummer wieder heraus. Ich hab das als abgekürzte Erzählung gesehen, denn dieser Aspekt hatte dann nicht so viel mit der Hauptstory zu tun, und vielleicht hat sich der Autor da auch nur ein bisschen Recherche erspart. Mit mehr Details hätte das aber sicher realistischer gewirkt.

    Unterm Strich haben mich diese Dinge nicht gestört und die positiven Aspekte haben weit überwogen. Deshalb halte ich schon Ausschau nach einer Fortsetzung.

    Liebe #Litnetzwerk-Grüße
    Gabi

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    1. Hey Gabi,

      danke dir für deinen Kommentar und die andere Ansicht auf das Buch!
      Das ist ja auch das tolle an Literatur ingesamt: Was dem einen nicht zusagt, findet bei anderen Anklang und überzeugt auf ganzer Linie.

      Bei Punkt 1 bin ich mir wie gesagt auch einfach nicht sicher, ob ich einfach schon zu sensibilisiert bin, um auf Dergleichen zu achten. Im Vergleich mit dem Enkeltrick, der ja wirklich recht ähnlich ist, geht die Tendenz wirklich stark zu "einfach zu sensibilisiert".
      Bei Punkt 3 stimme ich dir in dem Aspekt zu. Kann gut sein, dass es einfach um die Kürze ging und bessere Recherche etwas geändert hätte. Bleibt allerdings (zumindest für mich) der Gedanke, warum er urplötzlich zur Waffe greift, ohne dass es vorher mal einen Hinweis darauf gegeben hätte. Immerhin hat Meller sich zuvor recht strikt gegen Schusswaffen in Verbindung mit seiner Person positioniert.

      Oh, dann wird es also eine Reihe oder zumindest ein Mehrteiler? Wusste ich auch noch nicht. Vielleicht klärt sich ja im zweiten Teil, wie sich das Finale von "Angstmörder" auf Meller auswirkt ...

      Liebe Grüße
      Sarah

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    2. Hallo Sarah,

      ich habe dort zwar nicht mit diskutiert, aber im Bücherforum Büchereule eine Leserunde zum Buch mit beteiligung des Autors stummt mitverfolgt. Da kann man reinschauen, ohne sich im Forum anmelden zu müssen und vielleicht sind auch die zusätzlichen Gedanken der anderen Leser interessant für Dich (https://www.buechereule.de/wbb/board/2051-angstmoerder-lorenz-stassen/). Dort hat sich der Autor geäußert, dass für Spätsommer / Herbst 2018 ein zweiter Teil geplant ist. Und wenn die Bücher gut laufen, vielleicht sogar ein dritter. Ich werde den zweiten auf jeden Fall lesen, auch weil ich genau wie Du hoffe, dass es einen Übergang aus "Angstmörder" gibt, der das Ende vielleicht ein bisschen mehr beleuchtet.

      LG Gabi

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    3. Hallo Gabi,

      danke dir für den Link! Da schaue ich mal rein.

      LG Sarah

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