Riley hatte Erfolg – bei der Armenspeisung hat er einen warmen Teller Suppe und ein halbes Brötchen dazu bekommen. Es gefiel ihm zwar überhaupt nicht, zwischen all den Obdachlosen zu sitzen und zu essen, aber nachdem er satt war, hatte er wenigstens wieder etwas mehr Farbe im Gesicht.
Aus einem nahen Discounter hat er sich danach trotzdem noch ein abgepacktes Brot geholt. Nur von der Suppe kann schließlich keiner Leben.
Gemeinsam sind wir nun auf dem Heimweg. Die Schneewehen sind wieder fort – jetzt braucht sie immerhin keiner mehr. Wir schweigen, laufen nur nebeneinander her, jeder in seinen Gedanken gefangen. Was Riley denkt, kann ich nur erahnen. Vermutlich geht es um seine Zukunft, vielleicht auch um Mel und ihr Treffen am nächsten Tag. Seitdem ich davon weiß, bete ich, dass es erfolgreich verlaufen wird. Dass Riley sich ihr endlich öffnet und Hilfe zulässt. Es kann wohl kaum so schwer sein, einmal zuzulassen, dass einem geholfen wird. Kurz nachdem wir in seine Straße eingebogen sind, läuft er immer schneller. Erst denke ich, er wolle einfach nur schnell Heim – raus aus der Kälte – doch dann bemerke ich die drei jungen Männer hinter uns. Sie tragen schwarze Lederjacken, ebenso dunkle Hosen und Springerstiefel. Ihre Haare sind allesamt bis auf wenige Millimeter gekürzt. Die wollen garantiert nicht nur freundlich nach dem Weg fragen...
Während Riley beinahe rennt, werden auch die Drei hinter uns schneller. Ich fürchte, er kennt sie, sonst hätte er wohl kaum so schnell auf sie reagiert. Endlich an der Treppe vor seinem Haus angekommen, nimmt er mehrere Stufen mit einmal. Ich habe Mühe, ihm zu folgen, aber als er vor der Haustür steht und schon fast verzweifelt versucht, endlich den Schlüssel aus seiner Tasche zu bekommen, der sich dort irgendwo verheddert hat, hole ich ihn wieder ein. Im selben Moment schafft er es, den Schlüssel herauszustellen und schließt hastig auf. Einer der drei ruft etwas, aber wir verstehen es beide nicht. Als sie den Fuß der Treppe erreichen, schmeißt Riley hinter uns krachend die Tür ins Schloss. Ruhiger wird er trotzdem nicht. Schon ist er die erste Treppe hinauf und wieder muss ich ihm hinterher rennen, um ihn einzuholen. Dieses Mal schaffe ich es nicht. Die Wohnungstür ist bereits zu, als ich oben ankomme, aber glücklicherweise fällt es mir nicht schwer, dennoch hineinzukommen. Riley scheint sich daran nicht zu stören. Er steht bereits hinter der gelblich verfärbten Gardine im Wohnzimmer und späht hinaus auf die Straße. Er hat Angst, das sehe ich in seinen Augen. Den Grund weiß ich nicht, dafür kenne ich ihn noch nicht lange genug. Die drei jungen Männer – vielleicht sind es auch noch Jugendliche, ihr Aussehen könnte sie auch fälschlicherweise älter erscheinen lassen – lungern unten vor dem Haus herum. Riley wirkt erleichtert, dass sie nicht versuchen, hineinzukommen. Ich bin es auch.
Er lässt sich auf das kleine Sofa sinken und kommt langsam wieder zur Ruhe. Jetzt sehe ich auch, dass er müde ist. Ich vermute, es ist nicht nur körperliche Erschöpfung – seine ganze Situation wird einen beträchtlichen Teil zu seiner Müdigkeit beigetragen haben.
„Erzähl' Mel morgen, was los ist. Vielleicht kann sie dir helfen.“ Er reagiert nicht. Warum sollte er auch? In letzter Zeit reagiert er nie. „Stell dich nicht so an, Riley.“ Er steht auf und geht nach nebenan in sein Zimmer.
Ich seufze. So kann man ein Gespräch auch beenden...
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